Europäische Rechtsformen
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Rechtsfähigkeit

Erst durch die Erlangung der Rechtsfähigkeit können Gesellschaften als Träger von Rechten und Pflichten agieren. Zuvor bestehen demnach auch die dargestellten europäischen Gesellschaften nicht als juristische Personen und besitzen weder die jeweils vorgesehene Eigenschaft der Haftungsbeschränkung noch die Fähigkeit vor Gericht zu klagen oder verklagt zu werden.

Zur Erlangung der Rechtsfähigkeit einer Gesellschaft mit ausländischer Rechtsform müssen grundsätzlich zwei Voraussetzungen erfüllt sein:

  1. Die Gesellschaft muss im Zuzugs-Staat Rechtsfähigkeit erlangen. Die Gesellschaft muss dort also entweder nach dem Recht des Gründungsstaates anerkannt werden oder ihr muss die Rechtsfähigkeit einer vergleichbaren inländischen Rechtsform gewährt werden.
  2. Der Gründungsstaat muss den Wegzug der Gesellschaft zulassen. Nach Errichtung einer Zweigniederlassung im Ausland und einer möglichen Verlagerung der hauptsächlichen Geschäftstätigkeit (bzw. des Verwaltungssitzes) dorthin, muss die Gesellschaft nach dem Recht ihres Gründungsstaates Rechtsfähigkeit behalten.

Bereits an der ersten Voraussetzung mangelte es ausländischen Rechtsformen noch bis vor kurzem, denn eine Rechtsfähigkeit wurde ihnen beim Zuzug in den meisten Ländern nach der sog. „Sitztheorie“ grundsätzlich nicht zugestanden.
Durch die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) in den Sachen „Centros Ltd“, „Überseering“ und „Inspire Art“ wurde dies jedoch grundlegend geändert. Laut EuGH ist der Zuzugs-Staat nach den Artikeln 43 und 48 EG dazu verpflichtet, „die Rechtsfähigkeit und damit die Parteifähigkeit zu achten, die diese Gesellschaft nach dem Recht ihres Gründungstaats besitzt“ (so EuGh im Leitsatz „Überseering“). Eine in einem EU-Mitgliedsstaat rechtskräftig gegründete und bestehende Gesellschaft besitzt demnach in allen anderen Mitgliedsstaaten dieselben Rechte, die sie in ihrem Gründungsstaat besitzt. Für den Fall der hier betrachteten europäischen Gesellschaftsformen bedeutet dies, dass sowohl ihre Rechtsfähigkeit als juristische Person als auch ihre Haftungsbeschränkung anzuerkennen sind.

In den Urteilen „Inspire Art“ und „Centros“ verweist der EuGH zudem darauf, dass Ausnahmen (sog. „Sonderanknüpfungen“) nur nach dem sog. „Vier-Kriterien-Test“ (auch: „Gebhard-Formel“) zulässig sind, d. h. wenn die Einschränkungen

  1. in nichtdiskriminierender Weise angewandt werden,
  2. aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sind,
  3. zur Erreichung des Ziels geeignet sind und
  4. nicht über das Erforderliche hinausgehen.

Diese Voraussetzungen sieht der EuGH jedoch für Zusätze bei der Eintragung (wie z. B. „formal ausländische Gesellschaft“) oder spezielle Auflagen (wie z. B. bezüglich des Mindeststammkapitals) nicht erfüllt und hält daher derartige Bestimmungen für unzulässig.

Dies gelte insbesondere auch für im Ausland gegründete Gesellschaften, deren Tätigkeit ausschließlich oder hauptsächlich im Zuzugs-Staat (z. B. durch Errichtung einer Zweigniederlassung) stattfinden soll (sog. „Scheinauslandsgesellschaften“). Auch wenn diese Art der Gründung allein darauf ziele, strengere gesellschaftsrechtliche Vorschriften eines Mitgliedsstaates zu umgehen, stelle dies kein missbräuchliches oder betrügerisches Verhalten dar, sondern sei vielmehr erklärtes Ziel der im EG-Vertrag garantierten Niederlassungsfreiheit im Binnenmarkt (so EuGH in „Centros“, Rn. 26 f.).

Nicht verändert hat sich die Rechtslage hingegen in Bezug auf die zweite Voraussetzung, die eine ausländische Gesellschaft zur Erlangung der Rechtsfähigkeit erfüllen muss. Die Urteile „Überseering“ und „Inspire Art“ beziehen sich ausdrücklich nur auf den Zuzug von Gesellschaften. Bezüglich des Wegzugs einer Gesellschaft verweist der EuGH auf die Gültigkeit des „Daily Mail“-Urteils von 1988, wonach es den Mitgliedsstaaten überlassen ist, ihren eigenen Gesellschaftsformen Beschränkungen aufzuerlegen. Wegzugsbeschränkungen, wie z. B. bei der deutschen GmbH, bei der nach bisheriger Ansicht der deutschen Rechtsprechung eine Verlagerung ihres Verwaltungssitzes ins Ausland automatisch zu einem Erlöschen der Gesellschaft führt, bleiben also zulässig. Eine ebenso strikte Beschränkung existiert auch nach österreichischem Recht.
Ob, bzw. wie lange derartige Wegzugsbeschränkungen nach „Überseering“ jedoch noch Bestand haben werden, bleibt abzuwarten. Alle anderen europäischen Staaten haben solche Beschränkungen jedenfalls längst aufgehoben. So hat z. B. Großbritannien eine entsprechende Genehmigungspflicht direkt nach dem „Daily Mail“-Urteil, dem diese Beschränkung noch zugrunde lag, aufgehoben. Andere Staaten, wie z. B. die Niederlande, kannten entsprechende Beschränkungen ohnehin nie.

Zusammenfassend lässt sich also feststellen, dass einem „Import“ von europäischen Rechtsformen (mit Ausnahme der österreichischen GmbH) nach Deutschland in Bezug auf deren Rechtsfähigkeit nach neuer Rechtsprechung wohl nichts mehr entgegensteht, solange die Gesellschaft im Gründungsstaat rechtskräftig gegründet wurde. Ein entsprechender „Export“ deutscher Gesellschaftsformen scheitert hingegen (noch?) an der bestehenden Wegzugsbeschränkung.

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